"Farewell to the West now, our minds are open to the East, to all the new faces, new minds and things to see.
We are alone here, and our hearts at times they weep. But you will see us through the colours, as the sun sinks in the sea."
- Xavier Rudd

Montag, 3. Oktober 2011

Na peru...

Enge, Gedrängel, bohrende Blicke...endlich hatten wir unsere Liegen im Zug erreicht und unser überdimensionales Gepäck auf einer der oberen Liegen verfrachtet. Wir konnten es gar nicht glauben, dass wir jetzt tatsächlich in einem dieser indischen Züge waren: offene Fenster, Gitterstangen und ein Haufen Leute.



Gott sei Dank waren wir nicht alleine, denn unsere beiden Mentorinnen Satya und Uma begleiteten uns und sorgten dafür, dass wir in diesem Chaos nicht untergingen.



Am Anfang wussten wir wirklich nicht, wie wir es hier 30 Stunden aushalten sollten. Aber nach einiger Eingewöhnungszeit und viel Schlaf fanden wir Gefallen and dem Geschehen im Zug, das dann doch auch ziemlich interessant war: ständig kamen irgendwelche Verkäufer vorbei, egal was es war, hier konnte man es bekommen: T-Shirts, Spielsachen, Schlüssenanhänger, Götterbilder und natürlich Essen und Trinken. Nicht ganz so angenehm waren die vielen Bettler und auch die Müllentsorgung auf indisch, also alles einfach aus dem Fenster schmeißen, fanden wir doch sehr befremdlich.

Wunderschön war dann allerdings das, was wir von Indiens Landschaft zu sehen bekamen: Kilometerweit nichts als saftig-grüne Reisfelder, Palmen und gigantische Bergketten.



In Parvathipuram angekommen erwartete uns bereits das gesamte Team von JKS, wir bekamen sehr hübsche, kleine Blumensträuße und jeder stellte sich uns vor. Auch wir wollten uns natürlich gleich richtig vorstellen und hatten daher von Uma und Satya im Zug schonmal den für die nächsten Wochen wohl wichtigsten Satz auf Telugu gelernt: "Na peru..." - Ich heiße...

Dann ging alles ziemlich schnell: eine Tür mit Willkommensgruß öffnete sich und schwups standen wir auch schon mitten in unserer kleinen, süßen Wohnung, die nun für die kommenden sechs Monate unser zu Hause sein sollte.
Positiv überrascht betrachteten wir die beiden Zimmer, die Küche und das Bad (mit westlicher Toilette!).
Mittlerweile wohnen wir hier auch nicht mehr alleine, wir haben Haustiere. Dazu gehören ca, 50-100 schwarze Ameisen, die sich besonders gerne in unsere Küche aufhalten, um über unser Essen herzufallen, außerdem ungefähr die gleiche Anzahl an Mücken und Moskitos, die dafür sorgen, dass unsere Arme und Beine täglich neu mit überaus dekorativen, roten Punkten geschmückt sind. Und natürlich unser Geko Günther, der hier irgendwo im Untergrund lebt und sich nur manchmal blicken lässt.


Die nächsten Wochen dienten dann als Eingewöhnungsphase und zum Zurechtfinden: So lernten wir das kleine Städtchen Parvathipuram mit seiner stets bevölkerten Hauptstraße, seinen Shops, die an Jahrmarktbuden erinnern und seinen tropischen Temperaturen kennen.


Was uns besonders auffiel war, dass hier scheinbar alle weiß sein wollen. Neben Werbeplakaten, auf denen fast nur Weiße zu sehen sind, ist das außerdem daran erkennbar, dass es hier fast in jedem Geschäft Hautaufhellungscremes gibt und Werbung für Hautaufhellungsstudios- wir finden das ziemlich traurig, weil die Inder wirklich eine schöne Hautfarbe haben.



Ihr könnt euch deshalb sicher vorstellen, dass wir hier auffallen, wie ein bunter Hund. Die Leute tippen sich gegenseitig an, wenn wir vorbeilaufen, von Fahrrädern, Rikschas und Autos aus wird zurückgeschaut...Wir haben ja schon beschrieben, dass der Verkehr hier wirklich chaotisch ist, aber dass die das auch hinbekommen, wenn sie nach hinten anstatt nach vorne schauen, grenzt wirklich an ein Wunder.

Hier noch eine weitere lustige Anekdote aus unseren Tagen in Parvathipuram: Für unsere Registrierung bei der Polizei brauchten wir noch einige Passfotos. Dass wir keine dabei hatten war aber, wie fast alles hier, "no problem", denn Parvathipuram hatte natürlich ein Fotostudio. Wir machten also vor einem recht heruntergekommenen Haus halt und folgten unseren Mentorinnen über einen Weg, den man bei uns wohl eher als Trampelpfad bezeichnen würde, zu einem Seiteneingang.
Angestrengt suchten wir nach dem Fotostudio, das eigentlich direkt vor unserer Nase war: ein kleiner dusterer Raum, eine blaue Leinwand, ein Stuhl, eine Lampe - soweit so gut. Wirklich anders wurde es dann, als der "Fotograph" sich, nachdem er uns auf dem Stuhl plaziert hatte, vor uns stellte und mit seiner kleinen Digicam ein Foto schoss - "Finiiiiiiiiiiiiish"

Außerdem gibt es hier in Parvathipuram eine weitere "Besonderheit". Wie wir schon bei der Zugfahrt erkannten, ist die Müllentsorgung hier in Indien etwas...naja, sagen wir...speziell.

Hier zu sehen, unsere "Mülltonne":


Eine Müllabfuhr gibts hier natürlich auch, zwar nicht mit orangener Weste und großem Laster, aber immerhin...oink, oink:



Neben solch banalen Aktivitäten, wie Passfotos schießen und Müll entsorgen, machten wir natürlich auch die Umgebung Parvathipurams unsicher:

Wir besuchten einige Dörfer, um uns ein Bild von den verschiedenen Arbeitsfeldern unserer Organistaion zu machen.

In diesem Dorf betreut JKS beispiesweise zwei Frauenselbsthilfegruppen, die sich um die Finanzen kümmern. Sie brauchen besondere Unterstützung, da sie aus dem Nachbarstaat Orissa eingewandert sind und deshalb mit der Lokalsprache Telugu nur wenig vertraut sind.



Und natürlich haben wir auch einer der Dorfschulen einen kleinen Besuch abgestattet, in denen wir Kinder von der 1. bis zur 5. Klasse in Englisch unterrichten werden. Als kleines Begrüßungsgeschenk gab es erstmal Luftballons, worüber sich die Kleinen sehr gefreut haben. Mit strahlenden Augen kamen sie zu uns und wollten Hilfe beim Aufpusten der Ballons..."Madame, Madame, please, Madame..."



Die Rollerfahrten in die Dörfer waren bzw. sind immer ein kleines Abenteur und es gibt viel zu entdecken. Sobald wir von der Hauptstaße abgebogen sind, bringt und die Schönheit der Natur hier fast zum Platzen. Man möchte am liebsten Schreien, weil es so schön ist. Es geht vorbei an den grünsten Feldern, kleinen Tümpeln, in denen sich Büffel baden oder dicht bewachsenen Bergen. Naja, und abends auf dem Rückweg ist es eigentlich ganz normal, dass man in eine, zwei, drei, vier... Viehherden gerät. Da kann es schonmal passieren, dass einem ein Kuhschweif am Kopf vorbeizischt oder man fast ein Schaf auf dem Schoß sitzen hat.


In dieser Zeit haben wir auch unsere süßen Mentorinnen richtig ins Herz geschlossen und sind sehr dankbar, dass wir sie haben. Neben jeder Menge Tips und Infos, was wo gekauft werden kann und wie man sich am besten zu kleiden und zu verhalten hat, sind sie immer für jede Menge Spaß und Unsinn zu haben. So plappert Uma gelegentlich einfach einen deutschen Satz nach ("Mochma nochwos trauf!") oder lacht sich halb tot, wenn sie uns mal wieder auf Telugu anspricht und dabei an unseren verdutzten Blicken merkt, dass wir außer "Na peru" (Ich heiße) eigentlich kein Wort Telugu sprechen. Außerdem versuchen sie angestrengt uns für indische "Popsongs" zu begeistern.



Natürlich sorgen die beiden auch dafür, dass wir ein bisschen von der indischen Kultur und Religion mitbekommen. So veranstalteten sie beispielsweise an einem Tag einen kleinen Tempelmarathon mit uns. Anlass dafür war unter anderem das Durga Puja Festival, bei dem zehn Tage lang der Sieg der Göttin Durga über einen Dämon, den nur sie töten konnte, gefeiert wird.
Wir machten uns also an einem Tag auf den Weg in den Tempel, der eher ein großes Zelt war. Das erste was wir daraus wahrnahmen, war der Geruch von Räucherstäbchen und eine Art Sprechgesang.

Im nächsten Moment stach uns diese gigantische Götterstatue ins Auge, die mit Blumen und anderen Opfergaben, wie Kokosnüssen und Bananen dekoriert und beschenkt worden war.



An den Seiten saßen Frauen, die beteten und religiöse Rituale durchführten.


Tja, den besten Teil der Einführung in die Religion kommt aber erst Ende Oktober. Denn irgendwann, völlig unverhofft, zwischen Mittagspause und Einkaufen hat uns Uma die Frage der Fragen gestellt: "Do you want to see Indian Wedding?" Ihr kennt euch unsere Luftsprünge sicherlich vorstellen!

Mittlerweile fühlen wir uns hier auch richtig wohl, alle sind sehr sehr nett zu uns und machen sich viele Sorgen. Sobald in unserer Wohnung zum Beispiel kein Licht brennt (meistens wenn wir einen Film schauen) ruft unser Direktor an und fragt, ob wir denn zu Hause seien und ob es uns gut ginge. Er ist sowieso total süß und lächelt uns immer ganz lieb an, wenn er uns sieht oder mit uns spricht...



Ab nächster Woche werden wir dann mit unserer Arbeit loslegen und sind gespannt, was so auf uns zukommen wird. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr darauf endlich ein richtiger Teil der "JKS-Family" zu werden!



Tja, jetzt bleibt eigentlich nur noch zu sagen: "Valli Vasthanu" - bis bald!

Viele liebe und bunte Grüße aus Indien nach Deutschland,

Lena und Annik









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