Sonntag, 4. Dezember 2011

Der ganze November in ein paar Zeilen


Nun ist schon der Dezember ins Land gezogen, ohne dass wir im November etwas von uns haben hören lassen. Das liegt nicht daran, dass wir nichts erlebt haben - ganz im Gegenteil: Wir waren ganze zwei Wochen gar nicht zu Hause in Parvathipuram. Es stand nämlich unser Midterm-Workshop im KKID auf dem Plan. Im Anschluss besuchten wir dann auch noch im Rahmen des Interproject-Visits Lena und Mona von NMCT, um etwas über die Arbeitsfelder ihrer NGO zu erfahren. Die 30-Stundenfahrt nach Coimbatore sollte sich also so richtig lohnen und wir bekamen sogar unfreiwillig zwei Tage verlängerten Aufenthalt bei NMCT. Aber alles schön der Reihe nach.


Englisch in den Dorfschulen

Nachdem wir im Oktober Einblicke in die unterschiedlichen Arbeitsfelder unserer Organisation erhalten hatten, begannen wir in den ersten zwei Novemberwochen damit, regelmäßig in die Dorfschulen in der Tribalarea um Parvathipuram zu fahren, um dort Englisch zu unterrichten.
Vorerst hatten wir uns drei Dorfschulen ausgesucht, die wir mit Lalitha und Satya, die als Lehrer für die jüngeren Schüler des 1st bis 2nd  Standards mitkamen, von Dienstag bis Samstag aufsuchten.

Bis zur Mittagspause unterrichten wir dort Englisch, nachmittags wird es dann kreativer - wir basteln oder malen mit den Kindern, und zwar nicht nur, um den kahlen Klassenräumen ein wenig Farbe zu verpassen. Wir merken nämlich, dass das eigenständige Malen für einige der Kleinen etwas ganz Neues ist. Dies liegt daran, dass es teilweise an Unterrichtsmaterial mangelt, andererseits wird auf kreatives Arbeiten einfach nicht so viel wert gelegt.

Auf jeden Fall macht uns die Arbeit mit den Kindern viel Spaß, weil sie uns viel zurückgeben und wir merken, dass sie das, was wir ihnen beibringen mit Begeisterung aufnehmen.


Midterm-Workshop im KKID
 
Und dann stand auch schon der 12. November vor der Tür, unser Abreisetag nach Coimbatore.
Sonntags kamen wir also im KKID an und freuten uns riesig, die andern Freiwilligen wiederzusehen. Von ihnen waren wir seit September getrennt. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sich alle so viel zu sagen hatten und der Ankunftstag, an dem wir nur zusammensaßen und quatschten, wie im Flug verging.

 
Endlich wieder vereint!


Im Laufe dieses Tages und auch montags drudelten dann noch andere Weltwärs-Freiwillige ein, die von einer anderen Organisation als der KKS entsendet wurden. Auch mit ihnen kamen wir alle schnell ins Gespräch und es war sehr interessant zu hören, was sie während ihrer Zeit in Indien erlebt hatten.
Drei Mädels arbeiteten beispielsweise für eine NGO in Pune und konnten uns deshalb vom Leben in einer indischen Studentenstadt berichten, was sich einfach völlig von unseren Erfahrungen unterschied, da die meisten von uns in ländlichen Gebieten leben. Für sie war das Thema „dresscode“ bis jetzt noch gar nicht groß zur Sprache gekommen und deshalb waren sie anfangs etwas verwundert, warum wir alle in indischen Gewändern gekleidet waren.
Eine andere Gruppe berichtete uns dann von ihren Problemen mit der Polizei. In Indien muss man sich nämlich polizeilich registrieren lassen, bevor man einen Freiwilligeneinsatz absolvieren kann. Die Jungs und Mädels mussten sich über mehre Wochen hinweg mit diesem leidlichen Thema rumschlagen, was bei uns innerhalb eines Vormittags erledigt war.

Aber wir tauschten uns im KKID nicht nur sehr viel mit anderen Freiwilligen aus, sondern nahmen auch noch an dem Workshop teil, der von Renate Tietz von der KKS und Malathi, der Mentorin aller Mentoren, geleitet wurde. Inhaltlich befassten wir uns mit Unterrichtsmethoden, besprachen Probleme, die während unserer Zeit in Indien aufgetaucht sind, und thematisierten generell die Arbeitsweise einer NGO in Indien.
Um das zu verdeutlichen, fuhren wir alle in ein Tribaldorf, das Einsatzort eines Projektes des KKIDs ist. Dort sollten wir ohne Hilfe von Malathi versuchen uns mit den Dorfbewohnern zu verständigen, um zu sehen vor welchen ähnlichen Schwierigkeiten sie damals zum Beginn ihrer Projektarbeit standen.

Im Tribalvillage
Als Paradebeispiel für die krassen Gegensätze Indiens fuhren wir am nächsten Tag in eine am Westen orientierte Shoppingmall in Coimbatore. Dort konnte man neben Saris und traditionellen indischen Outfits auch kurze Hosen und Tops kaufen. Das ganze löste widersprüchliche Gefühle in uns aus. Einerseits waren wir froh, dass man die Möglichkeit hatte, westliche Güter wie Käse, richtiges Eis, Pizza oder eben auch Klamotten zu kaufen. Auf der anderen Seite verstörte es aber auch, dass alles so mit unseren indischen Elementen vermischt zu sehen, an die wir uns mittlerweile gewöhnt haben.

Westliche Shoppingmall


Interproject-Visit bei NMCT

Wie im Flug verging unsere schöne Zeit im KKID und dann hieß es auch freitags und samstags schon wieder Abschied nehmen.
Wir hatten allerdings das Glück, dass wir und noch nicht von allen verabschieden mussten, sondern direkt im Anschluss mit zu Mona und Lena in das Abhaya Student Shelter fahren konnten, ihrem Projektort.
Sie leben dort in einem Girls Hostel mit Mädchen im Alter zwischen sieben und sechzehn zusammen, deren Familien von AIDS betroffen sind. Durch das Leben im Abhaya bekommen die Mädchen die Chance einen geregelten Alltag zu haben, der nicht permanent von ihren tragischen Familienverhältnissen überschattet ist.

Wir fühlten uns Dank der ganzen strahlenden Gesichter der Mädchen und der „Sister“-Rufe von Anfang an sehr willkommen. Nur beim Vorstellen waren sie kurz verwirrt, bis sie verstanden hatten, dass in den nächsten Tagen „two Lena-Sisters“ mit ihnen zusammen wohnen würden.
Danach bewaffneten sich auch schon einige der Mädchen mit den Abhaya-Fahrrädern, denn Mona und Lena zeigten uns wo sie ihre Cycling Class geben. Wir liefen ein par Meter durch das Dorf, in dem das Abhaya liegt, und erreichten dann schließlich einen großen Platz, auf dem wir die Fahrkünste der Mädels bewundern konnten.

Auf dem Weg zur Cycling Class
Sonntags nahmen Lena und Mona uns mit nach Coimbatore zum Einkaufen. Zuerst ging es in einen westlichen Supermarkt, in dem wir endlich Nutella, Pesto und Nudeln kaufen konnten, worauf wir uns schon so lange gefreut hatten. Das alles gibt’s nämlich nicht in Parvathipuram und wir essen meist indisch. Das ist zwar sehr lecker, aber manchmal vermissen wir dann doch das Essen aus Deutschland. Noch glücklicher wurden wir dann als es weiter zu „Coffee Day“ ging, wo wir uns einen großen Kaffee, der endlich auch mal den westlichen Vorstellungen von Kaffee entspricht, und ein Stück Schokokuchen mit Vanilleeis gönnten. Wir waren auf Wolke sieben!
Gut gestärkt gingen wir dann noch Schmuck kaufen und erweiterten unsere Sammlung um ein par Bangels und Ohrringe. Um diesen tollen Tag abzurunden aßen wir dann noch eine Pizza bei Dominos und fühlten uns gar nicht mehr ganz so weit weg von daheim, voll und glücklich.
 
Posieren auf indisch: Arme verschränken und ja nicht lachen!
Tagsdrauf waren wir dann wieder ganz in Indien angekommen und machten zusammen mit Seetha einen Ausflug auf eine Kokosnussfarm, einer Außenstelle von NMCT. Dort schauten wir uns kurz das Gelände an, bis wir weiter in ein Tribalvillage fuhren. Die Fahrt dahin war aber ein wahres Abenteuer, denn wir saßen nicht IM Jeep, sondern AUF dem Dach des Jeeps. Auf unbefestigten Wegen ruckelte er also hin und her und wir saßen in einem kleinen von Metallstangen getrennten Bereich und versuchten nicht vom Dach zu fallen oder duckten uns vor in die Fahrbahn hängenden Ästen. Diese Fahrt war zwar das Gegenteil von bequem, aber wir hatten unglaublich viel Spaß.


Im Tribaldorf angekommen, besichtigten wir das Haus eines der Mädchen aus dem Abhaya. Bevor sie in das Hostel zog, hatte sie mit ihrer Familie in einer kleinen, dunklen Hütte gewohnt, in der es kaum genug Platz für alle Familienmitglieder zum Schlafen zu geben schien.
Die ärmlichen Lebensverhältnisse gehen einem noch näher, wenn man das Gesicht eines Mädchens, das man hat kennenlernen dürfen, damit verbindet.
Bevor es zurück zur Kokosnussfarm ging, schauten wir uns noch kurz die örtliche Schule an.
Auf der Kokosnussfarm halfen wir dann noch mit dreihundert Mangobäumchen von einen Lastwagen zu transportieren.
Nach getaner Arbeit wurden wir dann jeder mit einer frischen Tendercoconut belohnt, bevor wir uns wieder auf den Weg zurück ins Abhaya machten.

Mangobäumchen-Transportkette
Dienstags bekamen wir dann einen Einblick in ein ganz besonderes Projekt von NMCT, das sich mit der stark diskriminierten Minderheit der Transgender befasst. Transgender gelten in Indien als das dritte Geschlecht und werden von der Gesellschaft und meist auch ihren Familien ausgeschlossen. Viele von ihnen arbeiten als männliche Sexworker um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, deshalb sind sie auch eine besonders von HIV und AIDS betroffenen Gesellschaftsgruppe. Mit ihnen arbeitet NMCT als Teil ihres „TAI -  Tamil Nadu AIDS Initiatives" - Projektes.
Sie betreiben Aufklärung und versuchen den Transgendern andere Einkommensmöglichkeiten als die Prostitution zu bieten. Deshalb ermöglichen sie ihnen "Skill trainings Programes" um ihnen die Möglichkeit zu geben ihr Geld mit der Reperatur von Handys, als Schneider o.ä. zu verdienen.
Gleichzeitig wird das Bilden von Selbsthilfegruppen unterstützt, in denen Dinge gemeinsam angeschafft werden können und Geld gespart werden kann.
Außerdem engagiert NMCT sich auch in der medizinische Versorgung, in dem sie den Transgenders Kliniken zeigen, in denen sie behandelt werden und auch die Ausbildung für Krankenschwestern fördern, die Transgender behandeln. Aufgrund der starken Diskriminierung werden sie nämlich nur von wenigen Ärzten medizinisch versorgt.
Uns wurde beim  Einblick in die Projektarbeit von NMCT auch bewusst wie wichtig die Aufklärung der Öffentlichkeit und auch die Öffentlichkeitarbeit einer NGO im Allgemeinen ist. Gerade bei der Arbeit mit den Transgendern ist es nämlich sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit über deren Aktivitäten aufgeklärt wird. So werden viele Zeitungsartikel über Transgender-Schönheits- und Tanzwettbewerbe veröffentlicht um auch eine positive Öffentlichkeit für diese Gesellschaftsgurppe zu schaffen.
Besonders schön war, dass wir die Möglichkeit bekamen einem Transgender Social Worker bei sich zu Hause zu besuchen. Die Begegnung mit ihr hat uns schwer beeindruckt. Anfangs waren wir etwas unsicher wie das Treffen mit ihr ablaufen würde, aber sie hat uns mit ihrer freundlichen, warmen und offenen Art sofort ein gutes Gefühl gegeben. Bei einer Tasse Chai und einigen Snacks erzählte sie uns von ihrer Arbeit und ihrem Leben. Sie engagiert sich nämlich nicht nur als Social Worker, sondern ist auch traditionellle Tänzerin. Von ihren Tanzkünsten haben wir auch eine kleine Kostrpobe zu sehen bekommen. Es war äußerst beeindruckend, wie grazil sie sich bei ihre enormen Körpergröße bewegen konnte und wie ausdrucksstark ihr Mienenspiel war, das bei den traditionellen Tänzen eine wichtige Rolle spielt.
Wir haben dort einen Nachmittag erlebt, den wir sicher nicht so schnell vergessen werden!



Nach diesem äußerst interessanten Einblick in das Transgenders Projekt von NMCT, schloss sich ein volles Abendprogramm an.
Malathi hatte uns eigeladen und danach waren wir auch noch mit dem Direktor von NMCT und seiner Frau zum Essen verabredet.
Als kleines Gastgeschenk brachten wir zu Malathi eine Packung Pudding mit, sodass sie diese deutsche Süßigkeit mal kosten konnte. Leider hatten wir nicht bedacht, wie viele Leute immer in so einem indischen Haus anwesend sind und so ergab es sich, dass wir eine Packung Pudding in elf Portionen aufteilen mussten.
Von Malathi und ihrer Familie bekamen wir super leckere Kekse serviert, die uns an Weihnachtsplätzchen erinnerten und auch die ganze familiäre Atmosphäre bei ihr zu Hause ließ erstmals in Indien Weihnachtsstimmung aufkommen.

Bei Malathi, mit einem Teil ihrer Familie!
Danach ging es mit der Riksha weiter zum Haus von Seetha und Shankar, wo Seetha ein leckeres Abendessen vorbereitet hatte. Wir saßen in einer gemütlichen Runde beisammen, unterhielten uns gut und hatten eine sehr schöne Zeit.

Ursprünglich war damit am nächsten Tag auch schon unser Aufenthalt bei NMCT beendet und unsere Zugtickets für zwölf Uhr gebucht. Es stellte sich allerdings zwei Stunden vor Abfahrt des Zuges heraus, dass wir immer noch auf der Warteliste für die Sitzplatzreservierung standen und so, wenn es schlecht laufen würde, für dreißig Stunden keine Liege oder Sitzplatz haben würden. Seetha hatte zwar alles versucht, aber es ließ sich nichts mehr machen.

Unter diesen Umständen konnten wir natürlich in den Zug steigen, sondern packten unsere Sachen wieder aus. In den nächsten zwei Tagen setzten Seetha und die anderen Mitarbeiter von NMCT alle Hebel in Bewegung und so saßen wir dann zwei Tage später doch noch im Zug Richtung Parvathipuram. Für diese Bemühungen und auch unsere Unterbringung für weiter zwei Tage sind wir sehr dankbar.
So verbrachten wir also noch zwei schöne Tage mit den Mädchen im Abhaya und bekamen noch mehr von dem Alltag im dem Girlshostel mit.

 
Gemeinsam bringen wir die Mädels morgens zur Schule

Wieder zu Hause ging es dann auf eine indische Hochzeit, aber davon beim nächsten Mal mehr!

An dieser Stelle möchten wir uns auch bei Shankar, Seetha, den anderen NMCT-Mitarbeitern und natürlich auch bei Mona und Lena für diese wunderbare Zeit bedanken. Wir haben uns sehr wohl gefühlt und auch einen guten Einblick in die Arbeit von NMCT bekommen können. Vielen Dank dafür!

Viele Grüße aus dem sonnigen und warem Indien!
Annik und Lena

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